Erstgebärende, Terminüberschreitung, stattliche Kindsmaße, Beckenendlage … Jeder leitlinientreue Geburtshelfer wird bei diesem Geburtsbericht ordentlich ins Schwitzen kommen. Und doch hat sie diese Geburt mit ihrem Mann zusammen wunderbar gemeistert. Michelle berichtet über ihre Alleingeburt am 05.01.2020 bei ET+10
Ronja, 4300g, 53cm, KU 37cm
Als ich um 5.17 Uhr aufgewacht bin, habe ich erstmal auf die Uhr geschaut und mir nicht viel dabei gedacht – in den letzten Wochen hatte ich einen sehr unruhigen Schlaf und wachte immer früh auf. So weit also alles normal.
Kurz darauf hatte ich aber ein unangenehmes Ziehen im Bauch – war das etwa eine Wehe? Ich hatte bisher weder spürbare Übungswehen, noch Senkwehen gehabt, war also nicht sicher, wie sich eine Wehe überhaupt anfühlt. Ich bin dann erstmal aufgestanden und wollte mir einen Tee machen, da kam aber schon wieder dieses unangenehme Gefühl. Jetzt erschien es mir doch etwas komisch und ich sah auf die Uhr, um den Abstand zu beobachten. Da war ich dann ziemlich überrascht, das komische Gefühl kam nämlich alle drei Minuten wieder… Und kaum hatte ich das festgestellt, musste ich aufs Klo. Mein Darm entleerte sich und der Schleimpfropf ging ab.
Erst jetzt konnte ich erfassen, das die Geburt in vollem Gange ist! Ich tastete noch einmal die Kindslage, bis vor zwei Tagen lag das Baby nämlich noch in Beckenendlage. Das hätte zwar an meiner Entscheidung zur Alleingeburt nichts geändert, aber ich wollte doch wissen, womit ich es zu tun hatte.
Ich war mir aber sehr sicher, dass das Baby genau wie Tags zuvor in Schädellage liegt, was mich freute. Daraufhin weckte ich meinen Mann und bat ihn, mir meinen Tee zu machen, in der Zeit setzte ich mich auf den Pezziball. Die Schmerzen waren aushaltbar, aber unangenehm, etwa wie starke Periodenschmerzen. Auf dem Ball hielt ich es nicht lange aus, ich merkte schnell, dass ich laufen muss. So tigerte ich also durch die Wohnung und die Wehen wurden mit jedem mal schmerzhafter.
Bald ging ich dazu über, mich mit dem Rücken an den Türstock zu lehnen, mein Mann stand vor mir, mit dem Rücken an den gegenüberliegenden Türstock gelehnt und stützte mich. Ich fing an, die Wehen zu vertönen. Die Wehen nahmen so schnell an Intensität zu und kamen in immer kürzeren Abständen, dass ich plötzlich völlig überfordert war.
Ich stürzte in die Küche, schüttelte den Kopf und sagte bestimmt 100 mal „Nein, das ist zu schnell, ich kann nicht mehr…“. Als mein Mann mich beruhigen wollte, wurde ich wütend, ich war völlig überfordert. Ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt, dachte, die Wehen würden am Anfang in großen Abständen kommen und nicht so schmerzhaft sein. Ich wollte Musik hören, singen, tanzen, auf dem Ball sitzen… Aber an all das war in dem Moment gar nicht zu denken.
Mein Mann startete noch einen Versuch, mich zu beruhigen. Er sagte mir, dass ich es nur noch kurze Zeit aushalten muss und dann wird unser Baby bei uns sein. Dass die Schmerzen zwar schlimm sind, er aber bei mir ist. Dass wir gemeinsam alles schaffen. Dass ich stark bin. Und das war es. Genau das, was ich brauchte. Ich atmete tief ein und aus und wurde ganz ruhig – ich war wieder bei mir und meinem Baby. Ich ging ins Wohnzimmer und begab mich im Vierfüßler auf die Matratze, die mein Mann inzwischen vors Sofa gelegt hatte. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und plötzlich waren die Wehen wieder viel angenehmer. Ich verlor völlig das Zeitgefühl, war wie in einer Blase.
Irgendwann merkte ich, dass sich etwas veränderte und lehnte mich mit dem Oberkörper aufs Sofa. Ich hatte das starke Gefühl, dass das jetzt das Richtige ist. Und ja, da kam auch schon die erste Presswehe.
Die Austreibungsphase dauerte über eine Stunde, jedes mal wenn das Baby in der Wehe ein Stück nach vorne rutschte, spürte ich auch wie es nach der Wehe wieder zurück rutschte. Das war etwas frustrierend, vor allem weil ich in den Wehen starke Rückenschmerzen hatte. Ich versuchte es mit Beckenkreisen und ließ meinen Mann gegen den Schmerzpunkt am Rücken drücken, beides half aber nicht wirklich. Ich blieb aber trotzdem bei mir, atmete tief und hielt die ganze Zeit die Hand meines Mannes.
Irgendwann wollte ich dann doch mal fühlen, wie weit das Baby denn schon ist – und fühlte die intakte Fruchtblase direkt am Ausgang. Das war wahnsinnig toll und beflügelte mich nochmal. Nachdem ich noch ein paar Wehen abgewartet hatte, das Baby aber immer noch kaum im Geburtskanal voran kam, öffnete ich die Fruchtblase.
Die nächste Wehe war um einiges intensiver, ich wurde lauter beim Tönen. Dafür merkte ich aber auch, das sich jetzt richtig was tut.
Drei Wehen später spürte ich den Kopf und schickte meinen Mann ganz aufgeregt hinter mich, damit er zusehen und das Baby auffangen kann. Ich presste leicht mit, spürte wie der Kopf alles dehnte – und dann das Ploppen, als er rauskam. Bei der nächsten Wehe schob ich nochmal richtig mit und zack, da war das Baby in den Armen meines Mannes. Es war 11.10 Uhr. Ich war so glücklich, dass ich erst nach einigen Minuten darauf kam, nach dem Geschlecht zu sehen – ein Mädchen!
Ich lehnte mich ans Sofa und ließ die Kleine den Weg an die Brust finden. Wir warteten auf die Plazenta, nachdem sie aber nach einer Stunde noch nicht da war, durchtrennten wir die Nabelschnur, die natürlich schon auspulsiert war.
Insgesamt warteten wir fünf Stunden auf die Plazenta, die Zeit verbrachten wir dann noch auf der Matratze im Wohnzimmer. Danach legten wir uns alle ins Bett und kuschelten erstmal ausgiebig.
Ich habe nur einen kleinen Riss an der Schamlippe davon getragen, der aber schnell und problemlos verheilt ist.
Auch wenn ich zwischendurch überfordert aufgrund des schnellen Ablaufs war, war es für uns eine wunderschöne Geburt und ich würde es jederzeit wieder so machen.
Text © Michelle Wollny
Beitragsbild © pixabay_mylene2401
Michelle´s zweite Alleingeburt findest Du hier: Klick
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