Geburtsbericht von J.
Zur Vorgeschichte: Mein erstes Kind schlich sich sehr schnell in eine noch recht frische Beziehung ein. Bis dato verlief mein Leben hauptsächlich nach gesellschaftlicher Erwartungen. Ich steckte in einem Studium, das zwar okay war, aber auch nicht wirklich das, was ich wollte. Doch ein Kind? Das „ginge“ ja so früh auch nicht, sagte mir meine Erziehung.
Die gesamte Schwangerschaft war geprägt von Aushalten müssen und Freude konnte ich mir kaum erlauben. Die Geburt –blockiert durch meine eigenen Ängste und die gewaltvolle Behandlung im Krankenhaus– war eine traumatische Erfahrung. Das Wochenbett war voller Schmerz. Es dauerte Jahre, bis ich mir Heilung erlaubte, mir wirklich tiefe Freude an unserem Kind erlaubte und endlich mein Studium schmiss.
Zweite Schwangerschaft … und ein paar Meter Wachstum später
So langsam wuchs der Wunsch nach einem zweiten Kind. Dass ich irgendwann ein Zweites haben würde, war mir innerlich schon lange klar. Bis ich voll Ja zu diesem Wunsch sagen konnte, verging noch viel Zeit. Mein Körper und mein Geist reagierten immer schlau und „passend“ auf meine Entwicklung. War ich zu verkrampft in meinem Wunsch, ging gar nichts. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich einfach so mit unserem einen Kind und uns zufrieden war. Ich muss gar nichts. Mein Zyklus war unregelmäßig und ich dachte wirklich nicht mehr darüber nach, wann ich Sex haben müsste oder wann leichte Unruhe davor.
Das Gefühl, schwanger zu sein, schlich sich langsam ein. Etwa in der 8. Woche machte ich zu Hause einen Schwangerschaftstest. Und noch einen, sicher ist sicher. Nur ein Datum, dass war nicht sicher. Grob geschätzt hatten wir jedoch einen Geburtsmonat, den Februar. Ein Termin beim Frauenarzt kam so früh für mich nicht in Frage. (In meiner ersten Schwangerschaft wurde der Termin nach vorn korrigiert und sorgte gegen Ende für mehr Stress als nötig.)
Doch wie viel Vorsorge wollte ich jetzt? Es schwankte zwischen „gar nichts“ und zwei Ultraschalle plus Hebammenbetreuung durch die Hausgeburtshebamme.
Es wurden zwei US und zwei oder drei Termine bei der Hebamme. Als es um die näheren Termine Richtung ET ging, wollte ich jedoch nicht mehr und vor allem nicht häufiger untersucht werden. (Wir hatten uns einen ET überlegt, der so liegt, dass die Hebammen-Rufbereitschaft unseren geschätzten Geburtszeitraum abdeckt).
Doch was tun, wenn die Hebamme die Vorsorgetermine, vor allem die „über den Termin“ gerne hätte? Ein paar Meter inneres Wachstum später sagte ich ihr ab. Puh. Erleichterung, Unsicherheit, Freude, Spannung und eine terminfreie Zeit begann.
Ich hatte also keine ET plus 3 Untersuchung und auch niemanden mehr, der mir zu verstehen gab, das Baby müsse nun mal langsam kommen. Im Freundes- und Bekanntenkreis erwähnte ich nie irgendein Datum. Ich merkte, dass ich Rückzug brauchte. Kein Kind Abholen aus dem Kindergarten, keine Spieletreffen. Ich wünschte mich schon in meine Gebärblase. Aber irgendwie ging es einfach nicht los.
Zum Warten und Aushalten der Bonustage schrieb Jobina, das mentale Programm „Geduld ist nicht meine Stärke“ positiv umzuwandeln in „Geduld war schon immer meine Stärke“. Diesen Satz sagte ich mir.
„Bist du denn bereit?“, fragte mein Mann. „Ja. Nein. Schon. Keine Ahnung.“ Irgendwas fehlte noch. Ich machte an einem Tag eine geführte Mediation zur Vergebung, mir selbst gegenüber. Den nächsten Morgen wachte ich eine halbe Stunde vor dem Wecker auf und schlich mich ins Wohnzimmer. Irgendwas fehlte noch… Ich kam ins Schreiben. Angst, ohne Hebamme zu sein? Vielleicht. Dies und das, was mich noch bewegte. Und dann kam es. Wie konnte ich mir jetzt volle Freude erlauben, wenn ich sie meinem ersten Kind nicht mit in die Geburt und Babyzeit geben konnte. Ich weinte. Ich schrieb: „Ich vergebe mir. Ich vergebe mir. Ich vergebe mir.“ Wieder und wieder.
Danach wusste ich, dass nun nichts mehr fehlt. Dass ich nun bereit bin für die Geburt. An diesem Mittwoch hatte ich den Tag für mich, ich sorgte gut für mich, schaute einen schönen Film und ging Spazieren.
Die Geburt
Am Mittwochabend gegen 19 Uhr begannen die Kontraktionen, alle halbe Stunde vielleicht. Mein Mann C. und Kind L. waren gerade vom Einkaufen zurück. Meine Mutter würde gleich vorbeikommen, bei uns schlafen und am nächsten Tag mit L. zu sich fahren, wie wir es die Woche davor abgemacht hatten. Die Nacht über hatte ich weiterhin immer mal eine Welle. Schlaf hatte ich ab und an. Zwei Stunden verbrachte ich mal in der Küche und aß etwas. Dann wieder ins Bett. Später mal zwei Stunden im Wohnzimmer, dann wieder ins Bett. In Gedanken daran, dass mir noch zu viele Menschen da sind, war ich hin und her gerissen, ob ich denn nun wollte, dass es so richtig losgeht oder nicht. Lieber noch nicht. Morgens war ich froh, als die Beiden aus dem Haus und mein Mann und ich allein waren. Heute würde er nicht arbeiten gehen.
Die Kontraktionen kamen und gingen. Nicht auf die Uhr schauen, einfach mitfühlen, das wollte ich. Die Wellen im Türrahmen zu veratmen, war ein gutes Gefühl. Ansonsten stützte ich mich da ab, wo ich gerade stand. Ich bekam einen leckeren Salat gemacht, aß ihn so gegen 11 Uhr im Wohnzimmer und fragte mich, warum es denn nicht merklich anders wurde mit den Wellen. Warum platzte die Fruchtblase nicht? Warum ging kein Schleim ab? Ich hatte nicht einmal Durchfall. Für meinen Kopf fehlte ein Startsignal, dass es nun wirklich losging und nicht noch gefühlt ewig so „vor sich hin wellte“.
„Brauchst du noch etwas? Kannst du dich hier denn so entspannen, dass deine Blase platzen kann?“, fragte C.. Keine Ahnung. Auf meinen Wunsch hin richtete er mir im Wohnzimmer vor dem Kamin einen gemütlichen Platz ein (Wolldecke auf wasserdichter Unterlage) und bereitete im Schlafzimmer die Matte mit Unterlage und dem schönen weichen roten Stoff vor. Irgendwann zwischen 12 und 1 Uhr kam der Impuls, nicht nur die Wellen zu bejahen, wie ich es bisher getan hatte. „Ja, Baby, komm!“, sagte ich im Vierfüßler vor dem Kamin. Bei dieser Welle kam der Blasensprung. Bis dahin trug ich mein schönstes T-Shirt und eine Leggings, beides aus Wolle Seide. Ich ging ins Bad, auf Klo, freute mich unglaublich, zog die Leggings aus und wechselte auf Unterhose mit Waschlappen drin. Ich schaute ein Zimmer weiter, teilte meinem Mann meine Freude mit und ließ in weiter am PC sitzen.
Bei den nächsten Wellen kam immer etwas Fruchtwasser und Schleim mit. War das wirklich klar oder nicht doch ein bisschen grünlich? Ich war mir nicht sicher, besprach mich mit C. Was mein Gefühl denn sagen würde? – Alles in Ordnung. Ok. Würde ich lieber ins Krankenhaus fahren wollen? – Nein. Das würde keine positive Veränderung bringen. Ich darf und muss da selbst durch. Mein Geist arbeitete fast pausenlos, mein Gefühl ließ mich trotzdem wissen, dass es in Ordnung ist. Ich bat immer mal wieder mein Baby um ein Zeichen, dass bei ihm alles okay ist. Ich bekam immer mal wieder ein Fußtritt oder einen Arm zu spüren. Baby bewegt sich – alles okay.
Die Stunden gingen so dahin und ich wurde ungeduldig. Die Kontraktionen waren mit Atmen, Tönen und Bejahen trotzdem irgendwann echt unangenehm. Wer hat sich dass denn bloß ausgedacht? Das muss gar nicht so sein, dachte mein Verstand und erinnerte sich an die ganze Lektüre in der Schwangerschaft. Scheiße, jetzt tut es aber trotzdem weh, brachte ich ihm entgegen.
„Warum dauert das denn so lange?“, fragte ich C. zwischendurch, als er mir geschnittenes Obst und Wasser brachte. „Damit du dich dran gewöhnen kannst.“, sagte er ganz simpel. Na toll, dachte ich mir, und wusste schon, dass er Recht hatte. Ein zweites Kind war, bedingt durch meine eigenen Kindheitserfahrungen, bzw. meinen Erinnerungen davon, gedanklich mit einer (zu?) großen Anstrengung verknüpft. Na gut, dann ist das jetzt so. Dann dauert es eben, dann lerne ich eben genau jetzt, dass es trotzdem geht. Ich wechselte regelmäßig vom Klo zum Platz vor dem Bett und zurück.
Gegen 17 Uhr war so langsam alles doof. Ich wollte nicht mehr. Es änderte sich gefühlt nichts. Ich wollte den Muttermund tasten, kam aber nicht ran. Wehen kamen und gingen. Meine Kraft war endlich. Wann kommt denn endlich die Übergangsphase, die müsste doch jetzt wirklich mal sein. Sie kam dann bald, vielleicht so 17.30 Uhr. In meinem Kopf sausten immer noch diese und jene Gedanken umher. Ich war weit entfernt davon, tief in mir zu ruhen. Es tat weh. Ich kniete vor dem Bett auf meinem wunderschönen roten Stoff, den ich extra für die Geburt gekauft hatte, hielt mich am Holzbrett links und rechts unseres Betteinstiegs fest und legte mich in den Wehenpausen mit dem Oberkörper auf der Matratze ab. C. war nun neben mir, gab mir Wasser und war einfach da.
Wann kommt denn nun die nächste Phase… ich wollte schon mitschieben, wartete darauf, dass auch das Gefühl dazu kam und wollte – einfach nicht mehr. Ich den Wehen brüllte ich die Matratze an.
Dann endlich, mitschieben. In der Vorbereitung plante ich, nicht zu pressen und schön gewebeschonend locker mitzugehen. Ha. Theorie und Praxis lagen in diesem Detail weit auseinander. „Komm endlich raus, Baby!“ schrie ich ihm in einer Wehe entgegen. Mein Kopf so: Hm, wenn das Baby das später mal aufarbeiteten will, ob es das so gut findet?! Reichlich erschöpft fragte ich C. in einer Pause „Wie lange dauert das denn noch?“ „Nur noch ein paar Minuten.“, sagte mein toller Mann. Danke! Was für ein Gegensatz zu der Aussage der Hebamme beim ersten Kind (dort dauerte die letzte Phase seeehr lange), dachte ich dankbar. Doch gleich schoss mir ihr damaliger Kommentar in den Kopf „Dein Damm hält echt alles.“ Oh nein, dieses Mal nicht. Ich kann das. Ich schob mit, so stark ich konnte. Ich glaube, es waren 5 oder 6 Presswehen. Dieses nach unten schieben, den Babykopf gleiten zu spüren, die große Dehnung, ein wahnsinnig ekstatisches Gefühl. Okay, es war überlagert durch das sehr schmerzhafte Ziehen vorne im Bauch, aber: Es war da und ich fühlte es stark. Das war so krass!
Dann war der Kopf geboren. Wahnsinn! Unser Baby guckte nach hinten, ich konnte die Haare sehen. „Der Kopf ist blau.“, sagte ich erschrocken. „Das ist ganz normal“, sagte C. Mein Kopf so: Ja, klar, weiß ich. Das habe ich dir schließlich neulich erzählt. Und wie dankbar ich war, dass er es mir in dem Moment gesagt hatte. Wellenpause. „Okay Baby, dreh dich“, sagte ich ihm. Das Warten auf die nächste Wehe kam mir unendlich lange vor. Ich schaute aufs Bett und begann zu zählen. 1,2,3,… Unser Baby drehte sich ganz vorbildlich. Bis 16 zählte ich. Dann gebar ich mit der nächsten Welle den Körper und nahm mein Baby in Empfang. Ich sah kurz sein Gesicht, ganz anders als die Schwester, huschte es durch meinen Kopf, bevor ich es wegen der rutschigen Käseschmiere erstmal vor mich legte. Ich lachte. „Ein Mädchen! Mach ein Foto“, sagte ich (Geburtszeitpunkt am Foto ablesbar: kurz vor 18 Uhr). Sie ruderte ein bisschen mit den Armen und röchelte ein klein wenig beim Atmen. Sie staunte mich an und ich sie. Ich nahm sie hoch, um mich mit ihr von meinen Knien auf meinen Po zu setzen. Da saß ich dann, angelehnt ans Bett, das Baby auf meinem Schoß, angelehnt an meinen Bauch und meine Oberschenkel. Halb zugedeckt mit einem kuscheligen roten Handtuch. Ich strahlte vor Freude! „Ich habe unser Baby geboren! C., ich habe sie geboren!“ sagte ich immer wieder. Auf allen Fotos, die C. in diesen Minuten und den Stunden danach gemacht hat, strahle ich bis über beide Ohren hinaus.
Er setzte sich neben mich, wir verschauften. Und nun, was machen wir jetzt eigentlich? Ich fühlte die Nabelschnur, Wahnsinn, wie sie pulsiert. Ich schaute neben und unter mich. Ja, da war Blut. „Die Plazentaschale, die ist noch in der Küche, hol die mal.“ Nach einer Weile und dem Gefühl, dass schon ein kleiner Schwall Blut bei mir nachkam, schnitt C. die längst auspulsierte und babyseitig mit einem hübschen Bändchen abgebundene Nabelschnur durch. So etwa 20 cm vom Bauchnabel. Ich hockte mich über die Schale und drückte kurz, dann flutschte die Plazenta raus.
Und nun? Unser wundervolles Baby war eingekuschelt auf C.s Bauch. Ich wollte mich kurz sauberwischen. Auf meinem Oberschenkel klebte neben dem Blut auch etwas Mekonium. Dann doch etwas abduschen, dachte ich. Also 4 m weiter in die Badewanne. Nichts brannte, dann ist ja alles gut, dachte ich. Danach schnell ins Bett und dann stillte ich meine kleine Tochter. Ein Wunder.
Etwa 2 Stunden später kam eine gute Freundin vorbei. Sie staunte mit uns. Sie lachte mit uns, als C. auffiel, dass er heute – im Gegensatz zu mir – noch gar nichts gegessen hatte und sie hielt das Baby, als ich auf Klo ging. Es war wundervoll. Bis 23 Uhr verbrachten wir die Zeit mit kuscheln, stillen, anziehen und aufräumen (also C.). Am nächten Morgen spürte ich beim Klogang dann doch eine Reizung (kaum was im Vergleich zum ersten Wochenbett), schaute genauer nach, ah, doch ein Riss. Hm und nun? Am Nachmittag kamen meine Mutter und meine Tochter L. wieder. Kurz danach kam die Hebamme, der ich ja erst abgesagt hatte und die auf meine Bitte hin sich den Riss anschaute. Ja, den könnte man wohl nähen, aber der würde auch so heilen und nach 24 Stunden würde sie nicht mehr nähen. Na gut. Nähen lassen wollte ich auch nicht wirklich. Also die Beine nun zusammenhalten und das Wochen-Bett wörtlich nehmen. Nach einer Woche etwa war der Riss zu, nach zwei Wochen glänzte die neue Haut noch ein wenig silbrig blau, das lief wunderbar.
Was ich nächstes Mal anders machen würde: Mehr entspannen und ins Genießen kommen. Dieses wundervolle Gefühl des Baby-runtergleitens voller auskosten. Frühzeitig eine andere Hebamme zur Nachsorge haben.
Text © Marike H.