Ihr Kind muss sich jetzt auf den Weg machen, sonst müssen wir einleiten!“ höre ich die Stimme der Frauenärztin im Hinterkopf, als ich der Hebamme das Ergebnis der Untersuchung überreiche. Die Hebamme im Geburtshaus nickt stumm, während sie den Untersuchungsbericht liest und bestätigt, dass mein Ungeborenes nur noch zwei Tage Zeit hätte, um zu erscheinen.
Darüberhinaus könnte ich leider nicht mehr im Geburtshaus entbinden und müsste aus versicherungstechnischen Gründen in ein Krankenhaus. „Niemals!“ denke ich mir im Stillen, „Bevor ich in ein Krankenhaus gehe, mache ich´s lieber allein.“
Unter Zeitdruck gesetzt, entstand in mir der Keim, wie es wäre, ein Baby ganz allein zu gebären.
Ein Cocktail mit Rizinusöl sollte nun „sanft“ die Geburt einleiten und so sitze ich nach kürzester Zeit auf einem Gebärhocker im Geburtshaus und habe Wehen. Schmerzhafte Wehen.
Unter der Beobachtung von zwei Hebammen und meiner eigenen Mutter kämpfe ich nun seit 14 Tagen gegen die Zeit und schreie mir den ganzen Frust vom Leib. „Verdammt! Verdammt, jetzt komm endlich!“ schreie ich dem Baby entgegen. „Verdammt! Es brennt so sehr!“ Während es mich innerlich vor Schmerz zerreisst, ermahnt mich meine Mutter, die hinter mir sitzt: „Kind, Du sollst doch nicht fluchen!“ Und so springt unmittelbar folgend auch noch ein altes Kindheitsmuster an. „Sei ein braves Mädchen und fluche nicht!“
So erfahre ich mit der Geburt meines ersten Kindes zwei Dinge:
- Nicht einmal unter einer Geburt darfst Du Dich als Frau spontan ausdrücken und
- Du musst Dich beeilen.
Der Leser/die Leserin darf sich an dieser Stelle selbst einmal fragen:
Könnte ich unter Zeitdruck, Zensur und mehreren Beobachtern entspannt sein? Könnte ich in einen Zustand der Entspannung gelangen, während ich beobachtet werde? Könnte ich in Anwesenheit anderer Menschen meinen Schließmuskel entspannen, um mich meiner Nahrungsreste zu entledigen? Wäre ich in der Lage, zu einer Ekstase zu gelangen? Könnte ein nicht auszublendender Beobachter des Geschehens, jener Grund sein, warum es nur wenigen Frauen gelingt, lustvoll und ohne Schmerz zu gebären?
Fünf Jahre später entdecke ich meine zweite Schwangerschaft. Mittlerweile bin ich persönlich sehr stark gewachsen. Wesentliche Glaubensmuster der Kindheit sind reflektiert und innerlich umarmt. Dankbar habe ich nun auch entdeckt, woher diese tiefen Minderwertigkeitsgefühle als Frau kommen.
Mit diesem neuen Selbstkonzept gelingt mir das Annehmen meiner Weiblichkeit in allen Nuancen und sie erlauben mir ein völlig neues Empfinden in dieser Schwangerschaft. Welch eine Befreiung, sich emotional auszuleben, ohne sich selbst zu verurteilen! Ich lerne, mich spontan auszudrücken und beginne, mich immer weniger damit zu beschäftigen, was andere Menschen über mich denken mögen.
Die Veränderungen meines weiblichen Körpers und den wachsenden Bauch betrachte ich in aller Demut und frage mich immer wieder: Wo in aller Welt steckt der Bauplan? Wo ist der rote Faden? Wer hat die Bauanleitung für diese wundersame und zugleich wunderschöne Einrichtung, die neues Leben hervorbringen kann?
Ich kann gar nicht umhin, mich aufgehoben und geliebt zu fühlen. Für mich ist gesorgt – das fühle ich ganz sicher. Und in der Tiefe meines Herzens weiß ich, dass ich dieses Baby allein gebären werde. Ich weiß es einfach. Das innerliche Streben, genau diese Erfahrung zu machen, ist nicht zu ignorieren.
Die Erinnerung, dass eine Frau zum Gebären geschaffen ist, liegt vor mir wie eine Perle der Weisheit. Schwangerschaft & Geburt sind die Natur der Frau. Seit Anbeginn der Menschheit haben Frauen die Fähigkeit zu gebären. Selbst heute, in naturverbundenen Kulturen, gebären Frauen ihre Kinder in ganz natürlicher Art. Sie können es einfach.
Dennoch, ich lebe in einer zivilisierten Welt. Und meine Prägungen der Zivilisation kann ich nicht verleugnen. Und so entdecke ich Anflüge der Angst, immer dann, wenn mich meine Mitmenschen mit ihren Fragen konfrontieren: „In welchem Krankenhaus entbindest Du? – „Ich möchte nicht entbunden werden. Ich werde gebären. Und zwar dort, wo ich den Samen empfangen habe! – „Du bleibst zu Haus? Welche Hebamme kommt denn da?“ – „Keine! Ich gebäre selbstbestimmt!“ – „Und was machst Du, wenn was passiert?“
Letztere Frage trifftf meine zivilisierten Prägungen enorm. Ich fange an, medizinische Literatur zur Geburtshilfe zu studieren und finde interessante Aspekte zum Durchtrennen der Nabelschnur und zu herabfallenden Herztönen. Das Recherchieren lasse ich aber wieder, als mir klar wird, dass die Natur/die Schöpfung alles bedacht hatte und Baby´s geboren wurden, lange bevor der erste Wissenschaftler geboren war. Die Antworten also, nach denen ich suche, stehen nicht in Büchern. Ich beginne mich selbst zu befragen. Ich richte alle kritischen Fragen, mit denen ich mich im Außen konfroniert sehe nach innen:
Was mache ich, wenn das Baby nicht atmet?
Welche Komplikationen könnte es geben?
Wie werde ich reagieren, wenn wir eine Behinderung feststellen?
Wie gehe ich mit dem Tod um?
Ich kontempliere darüber, bis sich die innere Sicherheit auf meinen denkenden Verstand ausbreitet.
Heute weiß ich: Das Sicherheitsdenken der Zivilisation ist eine Illusion.
So belasse ich also die gesamte Schwangerschaft in meiner eigenen Beobachtung, ohne Hinzunahme von Untersuchungsgeräten und medizinischem Personal. Sie können mir nicht verraten, was ich nicht bereits weiß. Ich weiß einfach.
Mit dem Siebenten Schwangerschaftsmonat kommen allmählich die Erinnerungen an den schmerzhaften Aspekt der Geburt. Mir wird bewusst, dass mein Körper diese Schmerzreaktion erfahren hatte und demzufolge ein neuronal verschaltetes Netz in meinem Gehirn existiert. Nun, da ich in Erfahrung gebracht habe, dass das Denken und Assoziieren die Wirklichkeit kreieren, wandele ich diese Einstellungen um.
Ich setze der Einstellung „Geburt ist schmerzhaft“ den Glaubenssatz „Ich bin frei von Schmerz“ entgegen und trainiere ihn nahezu täglich. Während andere Schwangere sich von einem CTG zur nächsten Untersuchung bewegen, laufe ich jeden Tag in die Weinberge und manifestiere, wonach ich mich sehne. „Ich bin frei von Schmerz. Ich bin frei von Angst und Zweifel. Ich bin sicher.“
Während die Augen einen Punkt am Horizont fixieren, spreche ich es aus und setze bewusst einen Fuß vor den Anderen. Ich höre mir selbst zu und ich sehe meine gesprochenen Worte am Horizont geschrieben. Selbst wenn ich die Augen schließe, kann ich die Worte meiner neuen Einstellung im Frontallappen sehen. Ich gehe weit darüberhinaus, mir eine traumhafte Geburt zu wünschen. Ich erschaffe sie in meiner Realität.
An einem Sonntag im Februar 2012 erwache ich in den frühen Morgenstunden. Instinktiv verlasse ich das Bett. Ich zünde mir eine Kerze an und beabsichtige auf meinem Meditationskissen zu sitzen und in die Flamme zu fokussieren. (Zugegeben, es sollte ein bißchen spirituell wirken – welch ein Dogma!) Jedoch registriere ich schnell, was mein Körper benötigt. Bleib aufrecht und beweg Dich!
So bewege ich mich in dicken Socken, lautlos wie eine Katze, durch die dunkle Wohnung und nehme verschiedene Positionen ein, die mir Wohlbefinden bereiten. Mein Mann und mein erstgeborenes Kind erwachen. Sie gehen ihren Lieblingsbeschäftigungen nach und lassen mich nahezu unbeobachtet. Ich erledige noch einige Tätigkeiten des üblichen Haushalt´s und stelle mich zwischendurch den Wellen der Gebärmutterkontraktionen im Türrahmen. Ich bleibe aufrecht und für meine Familie nahezu unbemerkt. Gegen 9 Uhr begebe ich mich ins Schlafzimmer. Dort spüre ich erstmals eine innere Anstrengung, die mich kurzzeitig ins Jammern bringt, als mein Mann in meinem Blickfeld auftaucht. „Ich habe keine Lust mehr. Mach Du weiter!“ klage ich und er erwidert: „Ach, Du hast doch noch gar nicht angefangen! Du schwitzt ja noch nicht mal!“ Ich schicke ihn nochmal aus dem Raum, um etwas zu holen. Dieser Moment bringt mir die Konzentration zurück. Ich weiß, ich muss jetzt loslassen. Einfach abgeben. Die Persönlichkeit beiseite legen. Abgeben, an DIE Quelle aus der wir alle kommen. Loslassen.
Im Kniestand vor dem Bett vergrabe ich meine Hände zwischen der Bettumrandung und der Matratze. Dann schliesse ich die Augen. Hinter meiner Stirn bilden sich zwei Worte: „Lass los“. Ich kann diese Worte von innen sehen. Sie stehen genau dort, wo ich eine Krone tragen würde, wenn ich eine Königin wär. Die Worte stehen direkt vor meinem inneren Beobachter: „Lass los“.
Ich lasse los und spüre das Kindsköpfchen den geöffneten Muttermund passieren.
Ein überschäumendes Gefühl voller Intensität und Hingabe breitet sich in mir aus.
Nahezu lustvoll und zärtlich hauche ich dem Baby entgegen „Oooh… mach langsam! Mach langsam!“
Ich will diesen Moment auskosten. Genießen. Die Vollkommenheit ganz und gar einnehmen und dieses Gefühl verewigen.
Das Baby gleitet in meine Hände und ich nehme es hoch an die Brust. Ich sehe es an, mit den Augen einer selbstermächtigten Frau. Erstmalig in meiner menschlichen Existenz setze ich die Liebe und die Macht auf eine Stufe. Ich fühle mich wie Gott. Wie eine Göttin. Lachen und existenzielle Freude erfüllen den Raum.
Die Geburt in einer Form höchster ekstatischer Erregung so zu erleben, ließ mich endlich verstehen, warum manche (wenige) Frauen ihre Geburten als „orgastisch“ bezeichnen.
Die Frau in ihrer Selbstermächtigung ist pure Freude. Sie ist machtvoll und voller Liebe. Sie bringt hervor.
Text & Beitragfoto © Jobina Schenk
Meine erste Alleingeburt hatte ich am 26. Juni 2013,
davor drei Klinikgeburten und eine Hausgeburt
mit Doula und Hebamme.
Und ich kann aus Erfahrung sprechen bei fünf Geburten, dass diese Alleingeburt eine schmerzfreie und bewußtseinserweiternde Erfahrung für mich war und ich würde es immer wieder so er-leben wollen. Herzliche Grüße YogaTara
Liebe Jobina,
ich lese mit Aufmerksamkeit und großem Interesse Ihre Erfahrungsberichte und Ihre Meinungen und ich muss ganz oft lächeln, da vieles was ich empfinde, Sie mir aus meiner Seele schreiben.
Im Herbst bekomme ich mein erstes Kind. Und ich wusste sofort, dass ich nicht ins Krankenhaus gehen möchte. Also war ich verzweifelt auf der Suche nach einer Hausgeburtshebamme, was sich hier in der Gegend auf dem Land als äußerst Schwierig erweist. Das Geburtshaus war mir zu weit weg und es wären auch zwei Hebammen dabei anwesend gewesen. Dies hat mir nicht gepasst!
Ich sagte mir ganz am Anfang meiner Schwangerschaft:“ Wenn ich keine Hebamme für die Hausgeburt finde, dann mache ich es eben allein!“ Diesen Satz musste ich erst einmal verdauen, da er tief aus meinem inneren kam. Aber da ich ein Empfindungsmensch bin, werden mich meine Gedanken auch zu meinem Ziel leiten.
Wie gesucht so gefunden, nur möchte meine Hebamme gerne noch eine 2. Hebamme dabei haben, was mir hier wiederum auch nicht passt. Muss ich die Geburt doch alleine (mit meinem Mann) machen. Alleine gebären muss ich ja sowieso!
Ich denke schon die ganze Zeit daran, das Kind Zuhause, alleine (ohne Hebamme) zur Welt zu bekommen, lese viele Bücher, Erfahrungsberichte, Entspannungsmethoden und bilde mich auf sämtlichen Gebieten weiter. Es ist in der Gesellschaft nicht so einfach, wenn man anders denkt, seinen eigenen Weg geht und nicht nach den Richtlinien der gesellschaftlichen Denkstruktur funktioniert. Aber ich sage mir, nur die toten Fische schwimmen mit dem Strom – die lebenden Fische schwimmen immer gegen den Strom! 🙂
Ganz herzliche Grüße,
Jessica
Wunderbar!
Ich bedaure, dass meine Zeit des Kinder zur Welt bringens vorbei ist. Und wünsche so sehr, dass möglichst viele Frauen rechtzeitig vor der Geburt aufmerksam werden auf das selbstbestimmte Gebären.
Einfach wunderschön 🙂